Musik der Extreme

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Konzept

Welche Rolle spielen Extreme in unserer Gesellschaft und wie gehen Künstlerinnen damit um? Welche ihrer relevanten Elemente und Eigenschaften haben heute einen Wert und wie können wir sie reflektieren um sie als Individuum und Gesellschaft zu nutzen?

Extreme bedeuten Grenznähe, und -überschreitung, Gefahr, Unwirtlichkeit, Übersteigerung und oft auch Zerstörung. Zugleich gibt es Impulse und Motivationen zum Extremen. Aktuelle Studien zeigen, dass das Bedürfnis nach permanenter Zerstreuung und Scrolling beim Smartphone den Menschen wütender denn je machen. In den letzten Jahrzehnten zeigen Kinofilme und Serien eine gesteigerte Präsenz von Gewalt, und in der populären Musik und Computerspielen erfreuen sich extreme Spielarten mit entsprechend großer Beliebtheit.

Auch die sogenannte „Ernste Musik“ hat insbesondere seit dem späten 19. Jahrhundert verstärktes Interesse an Extremen gezeigt, mit der Konsequenz emanzipierter Dissonanz bis hin zur Reduktion des Klangs auf Klangfelder, Einzeltöne oder Geräuschfiguren seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Und extreme Haltungen und Handlungsmöglichkeiten entfalten in der politischen Öffentlichkeit eine bisweilen magnetische Anziehungskraft.

Ein Impuls zum Extremen mag eine Wurzel in einer gefühlten Enge des kompromisvolle Alltags haben. Eine Grenzüberschreitung, ein Verlassen von Gleichgewicht und Sicherheit in gefahrvolle Horizonte kann so die verheißungsvolle Aura von Freiheit erlangen. Zugleich finden wir in Grenzgängen ein Erleben von etwas Absolutem, einer unverfügbaren, härteren Realität hinter den Oberflächen. Gerade Extremsportarten, Egoshooterspiele, extreme Metalmusik oder auch Tabubrüche und extremistische Positionen können als Ausbruch aus einem nichtsagenden Alltag in einen belebenden und spannungsgeladenen Horizont erscheinen.

Zugleich begegnet Extremes uns jedoch auch inmitten unseres Alltags, in der Zuspitzung von Konflikten, wo Liebesbeziehungen in Feindschaft und Hass umschlagen, in gesteigertem Stress und Vereinsamung, oder Überforderungssituationen, in denen das Richtige unmöglich erscheint. und Pathologien, wie Süchte und Psychosen provozieren.

In einem Konzert mit dem Titel „Musik der Extreme – Figuren von Wut und Fragilität“ sollen Aspekte des Extremen sowie extremer Haltungen und Gefühlszustände ebenso musikalisch reflektiert werden, wie die Fragilität und Begrenztheit der Person und überhaupt lebendiger und vernünftiger Ordnungen. Paradigmatische Beispiele aus Neuer und Alter Musik werden dabei von gesprochenen, kurzen musikphilosophischen Reflexionen eingerahmt.

Dabei werden drei Uraufführungen mit neuer Musik erfolgen: Helga Arias entwickelt Stücke bspw. Anima Mundi oder Incipit, wo das Feindifferenziertes, Statisches, Intimes und zugleich explosive Intensität wichtige Aspekte der Hörerfahrung sind. Damit bietet ihr Kompositionsstil besondere Potenziale für ein Konzept der Musik der Extreme. Raphaël Cendo arbeitet seit Jahren an Klangszenarien, die die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit übersteigen und unsere Orientierung überfordern und wird entsprechend ein Stück erarbeiten, in dem die Grenzen menschlicher Wahrnehmungs- und Orientierungsfähigkeit erlebbar werden. Manuel Sánchez lässt die Instrumentalisten an die Grenzen ihrer Instrumente erforschen. Die Orientierung auf Extreme hin und setzt dem Erkunden von Kontinuitäten mit vermittelnden Potenzialen.

Die Uraufführungen sind umrahmt von Ensemble-Interludien, desweiteren von bekannteren Werken der Neuen Musik (Ligetis extreme mechanische Textur, Scarrinos Idee von Vanitas), Stücken der älteren Musik, die Extreme ausloten, so dem „Cahos“ von Jean Fèrie Rebel (1737) und Dissonanzexperimenten der Spätrenaissance.

Damit soll ein zweischneidiger und oft folgenreicher Aspekt unseres Lebens im Dialog verschiedener Musikepochen ästhetisch reflektiert werden.

Dr. Friedrich Hausen

Programm

Interlude I

  • Jean-Féry Rebel: Les elémentes. Le chaos
    Arr. für Blockfl., Barockgeige, Gambe, Schlagzeug und Cembalo
  • Improvisation über Wut und Fragilität
    für Barockgeige
  • Manuel J. Sánchez: Recercada y tiento sobre el sentido de lo extremo (UA) für Blockflöte, Barockgeige, Gambe, Schlagzeug und Cembalo
  • Diego Ortiz: Recercada tercera
    Arr. für Gambe und Schlagzeug

Interlude II

  • Claudio Monteverdi: Entrata (del Ballo delle ingrate)
  • G.Ph. Telemann: Trio Sonate in D moll. 42:d10
  • György Ligeti: Continuum

Interlude III

  • Helga Arias: Gelide tenebre
  • Salvatore Sciarrino: Capricci I: Vivace
  • Raphaël Cendo: Bubbles Memories (UA)
  • C. Monteverdi: Ballo (aus Ballo delle ingrate)

Musiker

Blockflöte: Moisés Maroto
Barockgeige: Adrián Pineda
Gambe: Ekaterina Gorynina
Schlagzeug: Paula Pinero
Cembalo: Darío Tamayo
Sprecher: Dr. Friedrich Hausen

Künstlerischer Leiter: Alberto Arroyo

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